Stellt euch vor, ihr geht einkaufen. Sobald ihr zu Hause seid, nehmt ihr ein Drittel eures Einkaufs und schmeißt ihn in den Müll. Hört sich ziemlich absurd an, oder? Aber genau das passiert. Jedes Jahr werden allein in Deutschland 18 Millionen Tonnen an Lebensmittel weggeschmissen, also knapp ein Drittel von dem, was produziert wird. Diese Lebensmittelverschwendung hat auch gravierende Auswirkungen auf unsere Umwelt. Welche das sind und was wir dagegen tun können? Das habe ich Kerstin Weber, Projektmanagerin für Nachhaltige Ernährung beim WWF Deutschland gefragt.
Wie schlimm steht es denn um die Lebensmittelverschwendung? Kannst du ein paar Zahlen nennen?
Wir verschwenden sehr viele Lebensmittel. Weltweit gehen jährlich 1,3 Milliarden Tonnen entlang der gesamten Wertschöpfungskette verloren. Bei uns in Deutschland sind es 18 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist ein Drittel unserer gesamten Nahrungsmittelproduktion. Die Zahlen sind schon erschreckend. Deshalb haben wir den Tag der Lebensmittelverschwendung ins Leben gerufen, der am 1. Mai stattfindet, also nach einem Drittel des Jahres. Wir wollen damit zeigen, dass alles, was bis zu dem Datum produziert wurde quasi auf dem Müll gelandet ist. Manches davon ist sicherlich unvermeidbar, wie etwa Abfälle, die bei der Produktion entstehen. Der WWF hat aber berechnet, dass 10 Millionen Tonnen tatsächlich vermeidbar wären.
Du hast gesagt die Zahl bezieht sich auf die gesamte Wertschöpfungskette. Wo genau fällt denn der meiste Abfall an?
An welcher Stelle die Verschwendung passiert ist ganz unterschiedlich. In den Entwicklungsländern geschieht das meist direkt nach der Ernte, zum Beispiel durch falsche Lagerung, Pilzbefall oder ähnliches. Bei uns in Deutschland fällt der größte Batzen eher beim Endverbraucher an, nämlich 40% der Lebensmittelabfälle. Die restlichen 60% entstehen bei der Ernte oder Nachernte, also alles, was auf dem Feld bleibt oder was durch falsche Lagerung schlecht wird, bei der Weiterproduktion, zum Beispiel beim Transport, im Groß- und Einzelhandel und beim Großverbraucher, wie der Gastronomie.
Was wird denn am meisten weggeschmissen?
Das ist definitiv Brot. Da wird irre viel produziert, weil die Bäckereien versuchen, bis zum Ladenschluss alle Regale vollzuhaben. Da das am nächsten Tag aber nicht mehr so gut ist, wird es weggeworfen. Dann wird natürlich viel Obst und Gemüse weggeworfen, sowie Kartoffeln und Milcherzeugnisse. Bei den Milcherzeugnissen ist der Grund oft, dass die Verbraucher Angst davor haben, dass sie schlecht geworden sind.
Aber Kartoffeln halten doch eigentlich sehr lange, oder?
Ja, aber bei Kartoffeln ist die Zahl auch nicht nur auf den Endverbraucher gerechnet, sondern auf die gesamte Wertschöpfungskette. Wenn Kartoffeln irgendwelche Makel oder einen Befall haben, sehen sie nicht mehr schön aus. Dann werden sie oft aussortiert, obwohl sie noch essbar wären. Ein anderer Grund ist, dass sie schlecht werden, weil sie nicht richtig gelagert werden. Außerdem sind Kartoffeln ein Grundnahrungsmittel. Daher wird viel produziert und entsprechend viel weggeworfen.
Hast Du das Gefühl, dass wir auch immer mehr wegschmeißen, weil wir es gewohnt sind, die perfekten Lebensmittel ohne Makel zu kaufen und weil wir ganz allgemein zu viel Distanz zu unseren Lebensmitteln haben, so dass wir zum Beispiel nicht mehr abschätzen können, wann etwas noch essbar ist und wann nicht?
Das sind definitiv oft auch Gründe. Warum die Banane kaufen, die schon braun ist, wenn man auch was Frischeres bekommen kann? Ich habe mal in Spanien bei einem Gemüsebauer gearbeitet und da werden die Orangen so sortiert, dass die schönen nach Deutschland und Österreich gehen, der Rest bleibt auf dem spanischen Markt. Das heißt, wir sind es hier gewöhnt, dass das wunderschöne Obst und Gemüse ohne Makel in den Regalen liegt. Dabei ist es ja völlig egal, ob da eine kleine Stelle dran ist. Das Aussehen ist aber schon ein gewisses Qualitätskriterium geworden.
Welche Auswirkungen hat die Lebensmittelverschwendung auf die Umwelt?
Für die Nahrungsmittelproduktion werden Ressourcen gebraucht – Land, Wasser und so weiter. Wenn wir diese Lebensmittel dann wegschmeißen, sind auch diese Ressourcen verschwendet. Unser Konsum hat schon jetzt Auswirkungen überall auf der Welt, wie etwa Landnutzungsänderungen, Klimawandel und Wasserknappheit in manchen Regionen. Außerdem sind knapp 2.000 kg Treibhausgas-Emissionen pro Person in Deutschland auf Ernährung zurückzuführen. Wir schmeißen, wie schon gesagt, pro Jahr 10 Millionen Tonnen Lebensmittel weg, die vermeidbar wären. Würden wir diese retten, müssten 2,6 Millionen Hektar Landfläche nicht für die Nahrungsmittel genutzt werden, das sind 15% der momentan benötigten Fläche, und wir könnten insgesamt fast 46 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen.
Was kann jeder Einzelne gegen Lebensmittelverschwendung tun?
Zunächst sollten wir unsere Lebensmittel wieder mehr wertschätzen. Wir sollten uns klar machen, dass hierfür Ressourcen genutzt wurden. Hilfreich ist es auch, zu schauen, was man eigentlich wegwirft und hier ansetzen. Wenn ich immer zu viel einkaufe, könnte ich Listen schreiben und ganz genau planen, wie viel ich benötige. Ansonsten kann man Überschüssiges auch einfrieren, an Freunde und Nachbarn weitergeben oder einfach etwas Kreatives daraus kochen. Im Internet findet man jede Menge Reste-Rezepte. Die richtige Lagerung ist natürlich auch immer ein wichtiges Thema. Man sollte zum Beispiel klimakterische und nicht klimakterische Früchte, also solche die selber nachreifen und solche, die andere Früchte zum nachreifen bringen, nicht zusammenlegen und darauf achten, wo man was im Kühlschrank lagert. Dafür kann man sich auch ganz schöne Grafiken ausdrucken und an den Kühlschrank hängen. Zuletzt sollte man sich auf seine eigene sensorische Prüfung verlassen anstatt das Haltbarkeitsdatum als Maßstab dafür zu sehen, ob etwas noch gut ist oder nicht.
Wie setzt sich der WWF gegen Lebensmittelverschwendung ein?
Wir fahren eine relativ breite Strategie zu dem Thema und versuchen die gesamte Wertschöpfungskette im Blick zu haben. Wir machen zum Beispiel viel Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit, wie einen Essensretter-Brunch am Berliner Hauptbahnhof oder der Foodtruck-Tour, bei der wir durch Deutschland gefahren sind, um über nachhaltige Landwirtschaft und Lebensmittelverschwendung zu informieren. Dann ist ein wichtiger Strang bei uns ist die Politikarbeit. Die Staaten innerhalb der UN haben sich dazu verpflichtet, bis 2030 50% der Lebensmittelabfälle zu reduzieren. Hier versuchen wir durch politische Arbeit Druck auszuüben. Wir fordern, dass auf nationaler Ebene konkrete Maßnahmen und Ziele festgelegt werden.
Was macht ihr ganz konkret, um die Politik zu beeinflussen?
Wir haben zum Beispiel Bundestagsforderungen formuliert, mit denen wir an die Parteien gehen, damit sie sie in die Wahlprogramme aufnehmen. Dann machen wir politische Events, zum Beispiel ein parlamentarisches Frühstück oder einen parlamentarischen Abend, sprechen einzeln mit den Politikern und versuchen das Thema zu platzieren. Wir haben außerdem eine Studie veröffentlicht, in der wir die einzelnen Bundesländer untersucht und verglichen haben, wo was gegen Lebensmittelverschwendung gemacht wird, welches Bundesland schon Ziele gesetzt hat, wo das Ganze verankert ist und so weiter. Natürlich ist das überhaupt nicht einheitlich und deshalb setzen wir uns dafür ein, dass von oben etwas mehr Vereinheitlichung reinkommt.
Du hattest eben schon die Erhebung von Zahlen erwähnt. Wieso sind solche Studien wichtig?
Damit wir unsere Arbeit machen können, brauchen wir zunächst Grundlagen. Wir brauchen Zahlen und Fakten. Deshalb veröffentlichen wir viele Studien, um zu wissen, worüber wir sprechen und genau zu bestimmen, wo die Verschwendung überhaupt anfällt und wie wir hier ansetzen können. Die Studien beinhalten auch Forderungen an alle – die Politik, den Endverbraucher, den Einzelhandel und die Wirtschaft. Damit versuchen wir, jedem Einzelnen besser aufzuzeigen, was sie oder er tun kann.
Helft ihr auch ganz konkret bei der Umsetzung von Maßnahmen?
Ja, ein großer Teil unserer Arbeit sind auch Projekte. Hier ist vor allem die Gastronomie eine wichtige Zielgruppe. Zusammen mit der Organisation „United against Waste“ arbeiten wir etwa mit Pilotbetrieben, zum Beispiel Betriebskantinen, in denen wir genau messen, an welcher Stelle Lebensmittelreste anfallen und entwickeln gemeinsam Maßnahmen. Es gibt ein vier-Tonnen-System, durch das der Betrieb über einen Zeitraum sehen kann, wo der meiste Müll anfällt – im Lager, in der Küche selber, sind die Tellerportionen zu groß oder ist es der Buffetüberhang? Der Betrieb sieht also genau, ob er zum Beispiel die Portionsgröße ändern sollte oder ob vielleicht einzelne Gerichte nicht so gerne gegessen werden. Das sind kleine Maßnahmen, die aber viel Einsparpotenzial haben.
Welche Veränderungen wünschst Du Dir in Zukunft?
Da komme ich noch mal auf das Thema Wertschätzung zurück. Ich wünsche mir, dass sich mehr Menschen klar machen, dass unsere Lebensmittel Rohstoffe sind. Die Ananas wird aus Costa Rica oder Kolumbien eingeflogen und ist dort insgesamt zwei Jahre gewachsen nur um am Ende hier weggeschmissen zu werden. Das Fleisch, dass auf dem Müll landet, war vorher ein Tier. Das sollte man sich bewusst machen. Wenn man den Wert dieser Lebensmittel erkennt, ändert sich auch hoffentlich das Verhalten. Außerdem wünsche ich mir natürlich, dass alle Akteure entlang der gesamten Wertschöpfungskette daran arbeiten, dass weniger Lebensmittel weggeschmissen werden – nicht nur der Endverbraucher, sondern auch der Einzelhandel und Restaurants sollten in die Pflicht genommen werden.
Liebe Kerstin, vielen Dank für das Interview!
Dieser Beitrag stellt tolle nachhaltiges Initiativen vor und kann daher als Werbung gesehen werden. Ich möchte aber betonen, dass ich dafür kein Geld bekomme. Ich stelle nur das vor, von dem ich selber überzeugt bin.
Hier gibt es noch mehr Infos:
Wenn ihr noch mehr Zahlen und Fakten zu Lebensmittelverschwendung möchtet, schaut mal in der Studie vom WWF rein: Das große Wegschmeißen
Ganz besonders anschaulich wird die Lebensmittelverschwendung anhand der Kartoffel: Nahrungsmittelverschwendung am Beispiel Kartoffel
Der WWF hat außerdem untersucht, was die einzelnen Bundesländer gegen die Lebensmittelverschwendung tun. Nachlesen könnt ihr das hier: Lebensmittelverschwendung: Bundesländer im Vergleich
Gemeinsam mit dem WWF hat die Bloggerin Stefanie Wilhelm Rezepte für die Wertschätzung von Lebensmitteln entwickelt: WWF zum Anbeißen
Tolle Rezepte und Tipps gegen Lebensmittelverschwendung gibt es auch auf der Webseite von Sophia Hoffmann: http://sophiahoffmann.com/
Eine großartige Initiative, die sich für die Rettung von Lebensmitteln einsetzt ist Foodsharing: https://foodsharing.de/
Es gibt noch viele weitere Initiativen, die gegen die Verschwendung von Lebensmitteln kämpfen. Das Programm „Zu gut für die Tonne“ vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zeichnet jedes Jahr die besten aus. Schaut mal auf die Seite, hier gibt es auch noch weitere Tipps: https://www.zugutfuerdietonne.de/
Tipps, wie jeder einzelne weniger Lebensmittel wegschmeißen kann, gibt Laura, die selber Foodsaverin ist, in dem Artikel „Lebensmittelverschwendung – Wir müssen mehr Lebensmittel retten„.
Diese Dokumentation von Valentin Thurn ist sehr sehenswert: Taste The Waste