Unter dem Titel „Transformation unserer Welt: die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung“ wurden 2015 die sogenannten Sustainable Development Goals (SDGs), die Ziele für nachhaltige Entwicklung verabschiedet. Es wurden 17 anspruchsvolle Ziele entwickelt, um die Herausforderungen unserer Zeit in den Griff zu bekommen. Die Initiative #17Ziele von Engagement Global möchte die SDGs bekannter machen und Lösungswege aufzeigen. Ich habe Samera Zagala und Kristina Löhr vom Projektteam #17Ziele in Bonn besucht und mit ihnen über ihre Arbeit gesprochen und darüber wer die Verantwortung für die Erreichung der Ziele trägt.
Vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, mir Rede und Antwort zu stehen. Könnt ihr zu Beginn noch einmal erläutern, was die SDGs sind?
Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung, kurz die SDGs wurden 2015 von 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedet. Es ist ein echtes Novum, dass fast alle Mitgliedsstaaten unterschrieben haben. Die SDGs haben damit eine enorme Tragweite. Jedes der 17 Ziele hat noch einmal zwischen fünf und zehn Unterziele, so dass wir auf insgesamt 169 Unterziele kommen, die bis 2030 verwirklicht werden sollen. Sie umfassen alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit: Soziales, Umwelt und Wirtschaft. Es geht zum Beispiel um die Bekämpfung von Armut und Ungleichheiten, um sauberes Wasser, nachhaltigem Konsum, sowie bezahlbare und erneuerbare Energien, aber auch um Frieden und menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. Die SDGs sind sehr ambitioniert, aber das ist auch wichtig, denn wir müssen jetzt an den Stellschrauben drehen, um die Zukunft unseres Planeten zu sichern.
Wie unterscheiden sich die SDGs von den MDGs, den Millenium Development Goals, die im Jahr 2000 verabschiedet wurden?
Die Besonderheit der SDGs ist, dass die Ziele für alle Staaten der Welt gelten, wohingegen die MDGs eher die sogenannten Entwicklungsländer betroffen haben. Außerdem wurden zum ersten Mal Nachhaltigkeits- und Entwicklungsziele zusammengeführt, denn sie sind ja miteinander verzahnt. Die 17 Ziele greifen ebenso ineinander und sollten nicht als Rangfolge gesehen werden. Wenn es zum Beispiel nicht gelingt, Armut und Hunger abzuschaffen, ist Frieden nicht möglich. Ebenso ist der fehlende Zugang zu Wasser eine große Ursache für Krisenkonflikte, menschenwürdige Arbeit hat natürlich was mit Geschlechtergleichheit und Bildung zu tun und so weiter. Wir dürfen die Ziele daher nicht isoliert sehen, sondern sie sind ein Weg – ein Plan – wie wir nachhaltige Entwicklung schaffen. Es geht nicht nur darum, Gesetze zu verabschieden. Auch die Zivilgesellschaft und jeder Einzelne ist in der Verantwortung und sollte etwas tun. Leider sind die SDGs oft noch nicht so bekannt.
Da kommt ihr dann ins Spiel. Was genau ist eure Aufgabe?
Das Projekt #17 Ziele wurde von Engagement Global im Auftrag des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ins Leben gerufen, um die SDGs vor allem bei jüngeren Menschen zwischen 18 und 35 bekannter zu machen. Hierfür führen wir Veranstaltungen und niedrigschwellige Aktivitäten durch. Wir haben unter anderem einen #17 Ziele Poetry Slam organisiert, der sehr erfolgreich war. Außerdem gibt es das 17 Ziele-Mobil, einen umgebauten Schäferwagen, der speziell für den Einsatz bei Musikfestivals entwickelt wurde. So erreichen wir auch Menschen, die vielleicht nicht auf unsere Veranstaltungen und Workshop kommen würden. Am Mobil bieten wir verschiedene Mitmach-Aktivitäten an, wie zum Beispiel ein riesiges Jenga-Spiel, bei dem auf jedem Stein eines der Ziele und Informationen dazu stehen oder ein Fahrrad, mit dem man selbst Energie erzeugen kann. Oft ist es eine Herausforderung die komplexen Themen der SDGs zu kommunizieren. Unsere Aktivitäten sind daher anders. Sie wecken Interesse und man kommt mit den Leuten ins Gespräch. Das ist ein Weg, das Thema zu platzieren, ohne dass es zu sperrig ist.
Ihr kooperiert auch mit verschiedenen Akteuren. Könnt ihr hierzu mehr erzählen?
Wir kooperieren zum Beispiel mit Filmhochschulen, die im Rahmen von Projektarbeiten Filmclips zu den 17 Zielen produzieren. – Social Spots – gedreht haben. Zwei davon wurden letztes Jahr als Kinowerbung gezeigt und der Spot „Schwarzes Loch“ hat sogar gerade einen Preis gewonnen. Ein weiteres Produkt sind Bierdeckel, auf denen die 17 Ziele im kölschen Dialekt mit passenden Sprüchen gedruckt und in Kneipen ausgelegt wurden. Das war eine Kooperation mit der Rheinischen Fachhochschule und einer NGO in Köln. Der Berliner und Allgäuer Dialekt ist gerade in Druck und viele mehr sind in Planung. Für uns hat die Arbeit mit Hochschulen den Vorteil, dass wir etwas haben, dass von der Zielgruppe für die Zielgruppe gemacht wurde und gleichzeitig beschäftigen sich die Studierenden mit Nachhaltigkeits- und Entwicklungsthemen. Wir haben außerdem schon mit der Deutschen Bahn, dem Zahnräder-Netzwerk oder dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik gearbeitet. Wir versuchen, mit Multiplikatoren mit großer Reichweite zusammenzuarbeiten, um die Themen weiter zu streuen.
Nicht nur die Politik, auch die Zivilgesellschaft und Wirtschaft sollten dazu beitragen, dass die SDGs erreicht werden. Was passiert hier schon?
Auf Politikebene gibt es eine Nachhaltigkeitsstrategie, die man auch online einsehen kann, in der die Aktivitäten der Regierung auf die einzelnen Ziele runtergebrochen sind. Hier kann man auch gut sehen, wie Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten steht und was noch zu tun ist. Allerdings sollte man sich im Klaren darüber sein, dass es oftmals Zeit braucht, bis Maßnahmen greifen. Auf Unternehmensebene gibt es sicherlich auch bereits Vorreiter, wie DM, die schon lange versuchen, so nachhaltig wie möglich zu sein und die Deutsche Post, die bis 2050 Emissionsfrei ausliefern möchte. Zudem gibt es viele kleinere Unternehmen, die im Bereich Fairfashion oder anderer nachhaltiger Produkte tätig sind und zeigen, dass man nachhaltig und verantwortungsvoll wirtschaften kann. Es passiert also schon was, aber noch viel zu wenig.
Und in der Zivilgesellschaft?
Es gibt viele NGOs und Initiativen, die bereits in dem Bereich tätig sind. Die meisten fokussieren sich in ihrer Arbeit auf einzelne Schwerpunktziele. Auf unserer Webseite stellen wir einige vor und geben ihnen somit eine Bühne. Die Zivilgesellschaft schließt aber auch jeden Einzelnen ein. Jeder hat Einflussmöglichkeiten: Du entscheidest, ob Du die Plastiktüte nimmst oder den Jutebeutel, Du entscheidest, ob Du bei einem Billigladen oder bei einem Fairfashion-Label einkaufst. Außerdem hat jeder die Möglichkeit, sich in Interessenvertretungen oder ähnlichem, bei den Wahlen und bei Petitionen dafür einzusetzen, dass Wirtschaft und Politik ihren Verpflichtungen nachkommen. Das ist ja auch eine Aufgabe, die die Zivilgesellschaft einnehmen sollte.
Wird gemessen, ob die SDGs erreicht wurden?
Es gibt von der UN eine Berichtspflicht. Auf UNRIC, dem UN Regional Information Centre, kann man den aktuellen Bericht zum Stand herunterladen. Diese werden jährlich veröffentlicht und zeigen auf, wo die jeweiligen Länder momentan stehen. Allerdings muss man sagen, dass die Ergebnisse natürlich auch davon abhängen, welche Daten die Länder zuliefern. Außerdem kann man nicht davon ausgehen, dass alle ein gut entwickeltes Evaluierungssystem oder die Infrastruktur haben, um die Daten zu erheben. Hier in Deutschland arbeitet das Entwicklungsministerium zum Beispiel sehr eng mit der Bertelsmann Stiftung zusammen, um Indikatoren zu entwickeln.
Gibt es denn schon Indikatoren?
Ja, in den Nachhaltigkeitsberichten steht, wie man die Ziele messen sollte. Die Schwierigkeit liegt aber darin, die Entwicklungen so zu evaluieren, dass sie die Wirklichkeit abbilden. Stellt man die Entwicklungen grafisch dar, stehen die Industrieländer natürlich im grünen und die Entwicklungsländer im roten Bereich. So ganz spiegelt das aber nicht die Realität wieder. Faktoren, wie unser Konsum werden dabei nicht in Betracht gezogen. Wenn in Argentinien die Wälder abgeholzt werden, um Lebensmittel für Tiere anzubauen, die wir hier in Deutschland essen, kommt diese Umweltbilanz nicht auf unser Konto, sondern auf das von Argentinien. Das verzerrt das Bild natürlich. Kein Land kann autark die Ziele erreichen, weil wir durch unsere globalisierte Lebensweise so stark miteinander vernetzt sind. Hier wird versucht, Mechanismen zu entwickeln, um das realistisch darzustellen.
Die Einhaltung der Ziele ist aber auf freiwilliger Basis, oder?
Im Grunde ja, denn die UN verhängt ja keine Sanktionen und kann den Ländern auch nichts diktieren. Aber dennoch haben 193 Staaten unterschrieben und sich damit praktisch auch verpflichtet. Es werden ja auch die Berichte eingefordert, in denen die Länder darstellen, was sie machen und wo sie stehen. Allerdings sind die Länder bei der Umsetzung unterschiedlich ambitioniert – es gibt solche, die sehr aktiv sind und wo unheimlich viel passiert und dann solche, wo das nicht so ist. Ähnlich sieht es auch innerhalb Deutschlands aus. Nicht alle Bundesländer setzen sich gleichermaßen für entwicklungspolitische Themen ein.
Wer ist da so der Vorreiter?
In Deutschland passiert sehr viel in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg. Global gesehen, sind Indien, Brasilien oder auch Nigeria weit vorne.
Haben wir in Deutschland bzw. im globalen Norden noch mehr Verantwortung, etwas zu tun und machen wir genug?
Das ist eine Frage, die wir untereinander auch oft diskutieren. Die Themen, mit denen wir uns momentan stark auseinander setzen sind zum Beispiel die Reduzierung von Plastik oder weniger zu konsumieren. Das sind aber in gewisser Weise Wohlstandsthemen. Ich kann mir erst leisten, mir solche Gedanken zu machen, wenn es keine anderen existenziellen Themen gibt, mit denen ich mich vorrangig beschäftigen muss. Daher haben wir im globalen Norden vielleicht eine größere Verantwortung, weil wir in einer Situation sind, in der wir einfach mehr Kapazität haben, uns mit diesen Themen auseinanderzusetzen. Es darf aber nicht sein, dass der globale Norden dem Süden das Anrecht auf bestimmte Güter oder eine Lebensweise nimmt, nur weil wir es, um es salopp auszudrücken, übertrieben haben. Die Frage ist eher, wie wir gemeinsam eine Lösung hinbekommen, dass es nicht die gleichen Auswirkungen hat.
Tauschen sich die Länder untereinander aus?
Natürlich, und zwar lernt dabei nicht nur der globale Süden vom Norden, sondern auch umgekehrt. Oftmals entstehen ja unter erschwerenden Umständen tolle Ideen, von denen wiederum der globale Norden profitieren kann. Da gibt es viele Beispiele – in der Landwirtschaft oder etwa mobile Gesundheitsbusse, die natürlich auch bei uns in ländlichen Regionen Sinn machen. Das ist also sehr wechselseitig, man kann von den Fehlern, die die einen schon gemacht haben lernen ebenso wie von den innovativen Ideen, die überall entstehen.
Habt ihr zum Abschluss ein oder zwei ganz konkrete Tipps, die jeder umsetzen kann, um dazu beizutragen, dass die Ziele erreicht werden.
Das sind oft ganz banale Dinge, wie etwa kürzer duschen oder alle Elektrogeräte ausschalten, wenn man in den Urlaub fährt. Das hat jeder von uns sicherlich schon oft gehört hat. Im Rahmen der 17 Ziele bekommt das aber noch mal eine andere Bedeutung. Es ist wichtig, zu erkennen, dass man auch mit kleinen Veränderungen Großes bewirken kann. Es geht auch nicht immer darum, alles perfekt zu machen. Wenn es mir in einem Bereich schwerer fällt nachhaltig zu leben, dann ist es trotzdem wichtig, in den Bereichen anzufangen, in denen es mir leichter fällt. Es ist alles besser als nichts tun. Allerdings sollten wir die Verantwortung nicht anderen abdrücken. Es liegt an jedem Einzelnen etwas zu ändern.
Vielen Dank, liebe Samera und Kristina für das Interview!
Besucht hier die Webseite von #17 Ziele:
Ihr möchtet noch mehr wissen? Dann mal hier entlang:
Jede Menge Informationen zu den SDGs stellt die UN auf dieser Webseite zur Verfügung: https://www.un.org/sustainabledevelopment/
Was sich die Bundesregierung in Sachen SDGs vorgenommen hat, könnt ihr hier nachlesen.
2016 erschien der Fortschrittsbericht der Bundesregierung. Diesen könnt ihr hier herunterladen.
Wer Interesse daran hat, sich die verschiedenen Länder im Vergleich anzuschauen, dem sei die Seite SDG Index und Dashboards ans Herz gelegt. Jedes Jahr bringt die Bertelsmann Stiftung und das Sustainable Development Solution Network (SDSN) diese Vergleichsstudie raus.
Einen eher kritischen Blick auf die Fortschritte der Nachhaltigkeitsstrategie in Deutschland wirft der Schattenreport, der von verschiedenen Verbänden veröffentlicht wurde.
Der Spotlight Report 2018 ist eine umfangreiche unabhängige Studie über den Fortschritt der SDGs. Neben einem kritischen Blick bietet sie auch ganz konkrete Vorschläge, wie wir die SDGs erreichen können: https://www.2030spotlight.org/en
Dieser Beitrag stellt eine tolle nachhaltige Initiativen vor und kann daher als Werbung gesehen werden. Ich möchte aber betonen, dass ich dafür kein Geld bekomme. Ich stelle nur das vor, von dem ich selber überzeugt bin.