Es ist grau und kalt, als ich mich nach Neukölln aufmache, um mich mit Judith Ruland zu treffen. Sie hat mit ihrem Freund Freddy Henn PlantAge gegründet, die erste bio-vegane solidarische Landwirtschaftsgenossenschaft in Berlin. Sie möchten damit Berliner Haushalten ermöglichen, sich in Zukunft regional, saisonal, solidarisch, unverpackt und tierleidfrei zu ernähren und so die Agrarwende selbst in die Hand zu nehmen. Ich habe mit Judith darüber gesprochen, wie genau das funktioniert, wo PlantAge gerade steht, wo sie hin wollen und wie ihr mitmachen könnt.
Liebe Judith, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst, mit mir zu sprechen. Erzähl doch zu Beginn nochmal, was PlantAge eigentlich ist.
PlantAge ist eine Gemüsegenossenschaft, die solidarisch, biologisch, regional und tierleidfrei ist. Der Name steht zum einen für Plantage, aber auch für „Plant Age“, also das Pflanzenzeitalter. Wir sind eine Gruppe von Verbraucher*innen, die beschlossen haben, aktiv zu werden und die Agrarwende einfach selbst in die Hand zu nehmen. Im Prinzip der Genossenschaft möchten wir gemeinschaftlich, jeder mit einem kleinen Beitrag, das große Ziel der bio-veganen Landwirtschaft erreichen. Damit verbinden wir viele Werte, wie etwa Gemeinschaft und Solidarität.
Wofür steht eine solidarische Landwirtschaft genau?
Bei der solidarischen Landwirtschaft, oder abgekürzt SoLaWi, wird nicht nur ein Produkt finanziert. Man geht also nicht in den Supermarkt, kauft die Gurke und zahlt den Preis, der von irgendjemandem vorgegeben wird. Man finanziert die komplette Landwirtschaft – von den Löhnen für die Landwirte über Pacht, Saatgut und Pflanzen, bis hin zu Maschinen, Logistik und Infrastruktur. Es wird alles kalkuliert und durch die Anzahl der Mitglieder geteilt. Dafür bekommt man wöchentlich eine Gemüsekiste. Bei uns kostet die momentan 79 Euro im Monat. In den nächsten Jahren soll sie aber ein bisschen günstiger werden, so dass es für jeden möglich ist, sie zu beziehen.
Das bringt dann ja auch mehr Sicherheit für die Landwirte, oder?
Genau, denn das ist für viele das große Problem. Wenn die Ernte zwei Jahre mies ist oder der Marktpreis so gefallen ist, dass es sich für sie nicht mehr lohnt, müssen viele ihre Höfe aufgeben oder sie finden keine Nachfolger, weil der Beruf so unattraktiv geworden ist. Übrig bleiben nur noch riesige Betriebe, die so wirtschaften, dass am Ende mehr Profit rauskommt, egal welche Auswirkung das auf die Umwelt hat. Das ist eine Entwicklung, die in den letzten 50 Jahren stattgefunden hat. Jetzt sind wir an einen Punkt angekommen, wo es ersichtlich ist, dass es so nicht mehr weitergeht.

(c) PlantAge
Was kann oder sollte die Politik hier machen?
Unsere Agrarpolitik ist eigentlich ein Systemfehler. Sie wurde nach dem 2. Weltkrieg aufgebaut mit dem Ziel, die Menschen zu ernähren. Da stand die Produktivität im Fokus. Doch wir hungern in Europa nicht mehr. Dafür haben wir andere Probleme, zum Beispiel in Bezug auf die Umwelt oder die gerechte Verteilung von Lebensmitteln. Außerdem gibt es, wie schon gesagt, viele Höfe, die keine Nachfolger mehr finden. Es gibt nicht genug Leute, die den Mut haben, sich in der biologischen Landwirtschaft eine Zukunft aufzubauen. Denn es braucht wirklich so viel Mut, das zu machen, weil das System es einem sehr schwer macht, vor allem, wenn man jung ist und keinen riesigen Hof haben will, sondern einfach davon leben möchte. Es liegt an der Politik, junge Bauern, kleine Betriebe und ökologische Landwirtschaft zu fördern. Das sollte ganz klarer Fokus sein, so dass es wieder attraktiv wird, kleine Höfe zu betreiben. Es dauert leider sehr lange, bis sich Gesetze und Systeme verändern. Das ist ein Prozess. Es wird kommen, denn es findet ein Umdenken statt. Die Leute, die jetzt in den Positionen sind, sind aber glaube ich noch nicht so weit. Daher ist es die Aufgabe von uns Wähler*innen und Konsument*innen, klar zu zeigen, dass wir eine Veränderung wollen.
Das macht ihr ja mit PlantAge! Warum habt ihr euch für den bioveganen Anbau entschieden?
In der Massentierhaltung und in der Tierhaltung insgesamt wird zum Beispiel sehr viel Dünger ausgebracht, der dann ins Grundwasser und andere Gewässer sickert. Dadurch sind Gewässer in Deutschland stark mit Nitrat belastet. Es ist extrem teuer, das wieder zu reinigen. Wir zahlen dafür, denn wir wollen das Wasser ja trinken. Das ist doch absurd: Erst wird es in Unmengen ausgebracht, dann holen sie es wieder raus und wir zahlen dafür. Deshalb haben wir uns gefragt: geht das eigentlich auch anders?
Nämlich indem man auf Tiere in der Landwirtschaft verzichtet?
Ich glaube, für die meisten gehören Tiere zum Bild eines Bauernhofs dazu. Viele sind auch der Meinung, dass wir die Tiere für den Nährstoffkreislauf brauchen. Früher war das sicher mal so. Aber in der Menge, wie wir Tiere halten, fällt so viel Mist an, dass das den Rahmen, den wir für den Nährstoffkreislauf brauchen, bei weitem sprengt. Auch biologische Höfe verwenden oft tierischen Dünger. Das ist nicht nur der Mist, sondern auch Schlachtabfälle und Hornmehl. Diese tierischen Produkte kommen oft aus der konventionellen Massentierhaltung. So oder so subventioniert man diese also irgendwie mit. Wir wollten nicht mehr unterstützen, dass unser Gemüseacker der Abfalleimer für das ist, was bei der Tierhaltung anfällt.

(c) PlantAge
Ihr seid ja gerade gestartet. Wo wollt ihr in einem Jahr sein?
Gestartet sind wir schon vor einem Jahr, aber jetzt wird es so langsam richtig konkret und wirklich greifbar. Wir haben einen Acker bei Frankfurt (Oder) gefunden. Ab Mai 2019 möchten wir Berliner Haushalte mit guten Lebensmitteln versorgen können und davon auch reichlich. Ich bin auch sehr zuversichtlich, dass das klappt. Dazu brauchen wir jedoch weiterhin Unterstützung und mehr Leute, die mitmachen.
Was habt ihr langfristig geplant?
Unser Ziel ist eine Vollversorgung ohne Sorgen. Wir möchten durch Kooperationen, wie etwa mit Bäckereien noch mehr Produkte anbieten. Wir könnten uns auch vorstellen, dass man ähnlich einem Modul- oder Shopsystem auswählen kann, was in der Kiste drinnen ist oder zwischen verschiedenen Gemüsekisten auswählen kann. Wenn wir mehr Mitglieder sind, wird auch die Gemüsekiste günstiger werden. Langfristig möchten wir auf unter 70€ kommen.
Wie viele Menschen könntet ihr denn versorgen?
Unser Acker ist 6½ Hektar groß. Damit könnte man theoretisch ungefähr 600 Menschen versorgen. Allerdings brauchen wir ja ein bisschen mehr Platz für die Gründüngung, da wir alle Nährstoffe vor Ort produzieren. Wir werden ungefähr mit einem oder zwei Hektar für den Gemüseanbau starten. Der Rest wird erstmal nur für Gründüngung genutzt, welches wir für Mulch und Kompost schneiden.

(c) PlantAge
Wer ist eure Zielgruppe?
Natürlich Veganer*innen, aber ebenso alle Leute, die sich schon bewusst ernähren oder das gerne tun möchten, die wissen möchten, wo ihr Gemüse herkommt und die ihr Konsumverhalten hinterfragen. Irgendwann wäre es toll, auch die Leute anzusprechen und mitzunehmen, die sich vielleicht noch nicht so viel damit beschäftigt haben. So kann man wirklich etwas verändern. Dafür fehlen uns momentan allerdings noch die Kapazitäten.
Welche Möglichkeiten gibt es, sich bei Euch zu beteiligen?
Wir haben einen Verein und die Genossenschaft. Mit dem Verein möchten wir gemeinnützige Projekte durchführen. Wir haben jetzt zum Beispiel den Stadtgarten in Neukölln, den wir betreiben und wo jeder mitmachen kann. Die Genossenschaft ist für den Gemüsebetrieb. Hier kann jeder Genossenschaftsanteile kaufen.
Wie viel kostet das?
Ein Genossenschaftsanteil kostet 150 Euro. Das ist eine einmalige Einlage, die man wieder bekomm kann, sollte man wieder austreten wollen. Man kann natürlich auch mehr Anteile kaufen. Das ist auch sehr willkommen, weil wir für nächstes Frühjahr 170.000 Euro brauchen, um wie geplant starten zu können. Hinzu kommt noch ein jährlicher Beitrag von 25 Euro, um die Verwaltungskosten, Kontogebühren und ähnliches zu decken. Die Gemüsekisten kosten 79€ monatlich und werden wöchentlich geliefert. Hierfür verpflichtet man sich für ein Jahr. Im ersten Jahr brauchen wir mindestens 75 Gemüseabonnenten, damit sich das Projekt sich finanziell tragen kann. Bei der Jahrshauptversammlung entscheiden die Genoss*innen, was mit dem erwirtschafteten Geld gemacht werden soll. Wir können entweder mit dem Preis für die Gemüsekiste runter gehen oder wir investieren in bessere Maschinen oder höhere Löhne für die Mitarbeiter*innen. Auch eine Gewinnausschüttung ist nicht ausgeschlossen.
Wo steht ihr momentan in Bezug auf die Mitgliederzahlen und das Interesse an der Genossenschaft?
Das Interesse ist insgesamt sehr hoch. Im Verein sind wir schon über 100 Mitglieder. In der Genossenschaft sind wir um die 35 Personen, die mitmachen wollen. Das ist eigentlich ganz gut, aber natürlich noch entfernt von dem, wo wir hinmüssen.

(c) PlantAge
Was sind denn jetzt eure ganz konkreten nächsten Schritte? Wie kann man euch dabei unterstützen?
Wir haben gerade eine Crowdfunding Kampagne, die noch bis zum 17. Dezember läuft. Unser Ziel ist es, dadurch 12.000 Euro zu sammeln, um die Vorbereitung für den Winter, Jungpflanzen und Saatgut und die Pacht für ein Jahr zu finanzieren. Das sind Investitionen, die dieses Jahr noch anfallen. Neben der Unterstützung der Crowdfunding Kampagne kann man uns am besten helfen, indem man von uns erzählt. Das ist einfach immer die beste Werbung. Wir können uns an so viele Infostände stellen. Aber wenn die Leute ihren Freunden davon erzählen, erreichen wir dadurch einfach noch viel mehr Menschen.
Hast du zum Abschluss einen Tipp für jemanden, der gerne nachhaltiger leben möchte?
Man sollte sich bewusst machen, dass durch alle Produkte, die wir irgendwo günstig kaufen, irgendwo anders Kosten entstehen, wie z.B. Artensterben, Wasserverschmutzung oder zu wenige Löhne. Es hilft, ganz bewusst Entscheidungen zu treffen und auch bereit zu sein, vielleicht ein bisschen mehr für Bioprodukte zu zahlen oder mehr auf Fleisch zu verzichten, weil dadurch auch extreme Externalitäten entstehen. Das ist ja auch das Ziel bei uns. Man kauft nicht ein Produkt, sondern finanziert die gesamte Landwirtschaft, wo alles mit drin ist – die Pacht, Löhne und so weiter. Unsere Kiste ist also eigentlich das perfekte Paket für Menschen, die gerne nachhaltiger Leben möchten.
Vielen Dank für das Interview, liebe Judith!
Wenn ihr mehr über PlantAge erfahren möchtet, schaut mal auf ihrer Webseite vorbei:
Ihr wollt noch mehr wissen?
Auf der Seite „Biovegan“ hat PlantAge jede Menge weiterführende Links zur Artikeln und Videos aufgelistet: https://www.plantage.farm/biovegan.
Hier findet ihr eine Übersicht über weitere bio-vegane Betriebe in ganz Deutschland: https://vebu.de/betriebsart/bio-vegane-betriebe/
Noch mehr Informationen findet ihr auf der Webseite des Biologisch-Veganen Netzwerks für Landwirtschaft und Gartenbau: http://biovegan.org
Wer mehr über Solidarische Landwirtschaft erfahren möchte, ist auf der Seite des Netzwerks Solidarische Landwirtschaft richtig: https://www.solidarische-landwirtschaft.org
Dieser Beitrag stellt ein tolles nachhaltiges Unternehmen vor, und kann daher als Werbung gesehen werden. Ich möchte aber betonen, dass ich dafür kein Geld bekomme. Ich stelle nur das vor, von dem ich selber überzeugt bin.