Dass Fliegen schlecht für die Umwelt ist, weiß mittlerweile wohl fast jeder. Darauf verzichten möchten jedoch noch die wenigsten. Allein in Deutschland ist die Zahl der Flugpassagiere 2018 um 5,4% gestiegen. Das möchte die Kampagne Flight Free Deutschland ändern und setzt dabei vor allem auf Freiwilligkeit, positives Vorleben und Gemeinschaftsgefühl. Denn sie fordern 100.000 Menschen dazu auf, 2020 aufs Fliegen zu verzichten. Wie genau das funktioniert, was die Motivation dahinter ist und was die Kampagne noch erreichen möchte, hat mir Dimitri Molerov, einer der Initiatoren, erzählt.
Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, mir Frage und Antwort zu stehen. Erzähl doch zu Beginn noch mal, worum es bei Flight Free Deutschland geht.
In unserer Kampagne Flight Free 2020 Deutschland informieren wir Menschen über die Klimafolgen des Fliegens. Wir regen sie dazu an, nächstes Jahr nicht in den Flieger zu steigen und sich auch öffentlich sowie in ihrem Umfeld bewusst dazu zu bekennen. Dazu können sie die Petition auf flightfree.de unterschreiben, ein Foto mit den Pinguinen knipsen und das dann auf sozialen Medien, wie Instagram, Facebook oder im Alltag als Autoaufkleber verbreiten.
Das hört sich großartig an. Wer steckt denn dahinter?
FlightFree wurde vor einigen Jahren von Maja Rosén, einer jungen Mutter in Schweden gestartet. Sie konnte es nicht fassen, dass das Fliegen in ihrem Freundeskreis ein echtes Tabuthema war. Um das Schweigen zu brechen hat sie die Kampagne gestartet. Dieses Jahr ist sie international in mehreren europäischen Ländern und Kanada angelaufen.
Für Deutschland hat sich ein Team aus sechs interessierten Bürger*innen zusammengetan, drei von uns sind regelmäßig aktiv. Alter, Lebensumstände, Flugerfahrungen und Motivation sind recht unterschiedlich.
Kannst Du nochmal genauer auf die Motivationen eingehen? Was hat Euch dazu gebracht, die Kampagne zu starten?
Wir sind auf ein Interview von Maja Rosén aufmerksam geworden und haben darüber zusammengefunden. Besonders gut gefällt mir an Flight Free, dass es auf Freiwilligkeit setzt: Nur wer innerlich soweit ist, braucht auch mitmachen – dafür rechnen wir uns aus, dass die Leute es Ernst meinen.
Vor ein paar Jahren startete die Kampagne als „Flugscham“ – das vermittelte aber eher ein hemmendes Gefühl bei vielen Leuten. Heute wissen wir, dass Motivation anders funktioniert. Nachdem man die Umstellung, nicht mehr zu fliegen, mit sich selbst ausgemacht hat – und das darf etwas Zeit dauern – ist es eine enorme Bestätigung des Selbstbewusstseins und der Integrität, im Einklang mit dem eigenen sozialen Gewissen zu handeln. Außerdem macht es in der Gemeinschaft deutlich mehr Spaß. Erst wenn 100.000 Unterschriften zusammenkommen, zählt das eigene Versprechen.
Was hat es mit der Zahl 100.000 auf sich?
Das ist die magische Zahl, die sich die Schweden vorgenommen haben zu erreichen. Alle internationalen Gruppen wollen ebenfalls auf diese Unterstützerzahl kommen. Wir hören immer wieder: Ich bin ja nur eine Einzelperson, was kann ich schon ausrichten? Nun, hier bist Du die 1 in 100.000. Wir brauchen dich!
Wann bist Du zum letzten Mal geflogen und was war für Dich persönlich der Ausschlag, am Boden zu bleiben?
Letztes Jahr war ich flugfrei. Diesen Frühling bin ich aber geflogen und zwar nach Kanada und von dort an die Westküste der USA und zurück. Ich habe die Flüge zusammengelegt; trotzdem waren es insgesamt 20.000 km, etwa 5,5t CO2-Äquivalente. Ich gehe mit meinen Klimaschulden aber ganz offen um und rechne sie sogar auf mein gesamtes Leben um. Dieses Jahr hat es mir meine Bilanz extrem verhagelt. Daher habe ich auch mit Maja darüber gesprochen, ob ich überhaupt ein geeigneter Kampagnenleiter wäre. Wir waren uns aber beide einig, dass ich es bin. Zum einen spiele ich nicht den Moralapostel. Bei Flight Free Deutschland geht es ja darum, ab 2020 nicht mehr zu fliegen – und dann erst mal nur für ein Jahr. Zum anderen kann ich auch zeigen, dass man auch mitmachen kann, wenn man früher geflogen ist. Im Team haben wir Leute, die zuletzt vor fünf und vor zehn Jahren oder noch nie geflogen sind. Ich bringe eher die Perspektive der jüngeren Jetsetter mit rein und kann damit meine Generation inspirieren. Es geht ja nicht darum, sich von heute auf morgen zu kastrieren, sondern sich bewusst zu fragen, wieviel brauche ich wirklich für meine Entwicklung und mein Leben.
Was genau meinst Du damit?
Dieses Jahr ging es bei mir zu einer internationalen Konferenz und einem Studiensemester, wo ich von weltweit einmaligen Expert*innen gelernt habe. Das hat mir in meinem Coaching geholfen, was wiederum dazu führt, dass ich einen größeren positiven Einfluss auf andere haben kann. Anderen rate ich deshalb im Moment noch: Wenn Du sie unbedingt brauchst, mach die Reise lieber! Besser Du findest durch die Erfahrung zur Ruhe oder erkennst währenddessen, dass es eigentlich unnötig ist, und stärkst so deine Entschlossenheit, langfristig nicht zu fliegen.
Da ich ansonsten ziemlich emissionsleicht lebe, habe ich nächstes Jahr sogar die Chance, nah an die planetaren Grenzen für nachhaltiges Leben heranzukommen. Nach über 30 Jahren endlich auf unserem Planeten ‚lebensfähig‘! Das motiviert mich enorm.
Lass uns nochmal zurück zur Kampagne kommen. Was ist Eure Vision?
Letztes Jahr noch galt es unter Bürger*innen reicher Nationen als cool, in den Urlaub oder zum Wochenendshopping durch Europa zu jetten. Von deutschen Flughäfen sind 2018 knapp 4 Millionen Passagiere neu hinzugekommen. Wer nicht in den Urlaub fliegen konnte – der Großteil der Menschheit – gab dies eher kleinlaut zu. Mit Flight Free Deutschland möchten wir zeigen, dass sich die Werte gerade schnell ändern. Auf dem Boden zu bleiben ist kein Armutszeugnis, sondern – im Gegenteil – ein Zeichen charakterlicher Stärke und Denken an andere.
Wieso glaubst Du sind noch so viele nicht bereit, auf das Fliegen zu verzichten?
Viele sind noch skeptisch, welche Wirkung sie als Einzelperson haben können. Dabei vergessen sie zweierlei: Zunächst mal sollte man versuchen, nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein. Außerdem haben öffentliche Handlungen doch eine ungeahnte Signalwirkung auf den Bekanntenkreis und können sogar größere Bewegungen auslösen.
Die Aufbruchstimmung ist spürbar. Nur ein paar igeln sich noch in interessengeleiteten Begründungen ein. Den meisten fehlt heute nicht mehr der Wille, sondern nur die Kenntnis über einfache Alternativen und der Mut sich neue Freiräume auszuhandeln.
Wie tragt ihr dazu bei, dass sich das ändert?
Wir hoffen vor allem mit Positivbeispielen Leute zum Umdenken zu bewegen. Bei der Kampagne können alle Privatpersonen mitmachen. Manche trauen sich nicht, weil sie noch die Liebsten irgendwo in der Welt besuchen oder für ihre Arbeit noch keine Alternativen gefunden haben. Das ist ok. Auch wenn wir die Selbstverpflichtung nur für ein Jahr auf Probe machen. Diese Leute sind noch nicht soweit und können sich über andere Angebote herantasten.
Viele setzen ja eher die Hoffnung darauf, dass das Fliegen irgendwann doch nachhaltiger wird, anstatt darauf zu verzichten. Wie steht ihr dazu?
Wir sind nicht grundsätzlich gegen Effizienzsteigerungen der Flugunternehmen und Flughafenbetreiber. Nur sollen sie mal schneller entwickeln, statt Greenwashing zu betreiben. Mit dem Unternehmensziel schneller zu wachsen, haben sie es bisher nämlich rückwirkend geschafft, alle ihre Einsparungen wieder zunichte zu machen. Nur eine absolute Senkung der klimawirksamen Emissionen insgesamt als Unternehmensstrategie zählt. Alles andere ist unwirksam. Was viele nicht wissen ist, welche Unmengen an Sprit für jedes Kilo Gewicht draufgehen. Das heißt leichtere Flieger, weniger Gepäck, ausgelastete, statt halbleere Maschinen, effizienterer Kraftstoffverbrauch, das alles mindert die Emissionen etwas. Dennoch können echte Weiterentwicklungen, die bedeutsame Einsparungen mit sich bringen, nach unserem aktuellen Wissensstand noch Jahrzehnte dauern. Daher wollen wir mit Flight Free auch Zeit verschaffen. Dann gibt es unbeschwerte Flüge vielleicht zum ersten Mal für die Enkel- oder Urenkelgeneration.
Was sind bisher Eure größten Erfolge?
Die Kampagne läuft gerade langsam an. Wir haben schon die ersten 600 Unterschriften zusammen. Mich persönlich hat besonders die Überraschung bei denjenigen begeistert, die noch nie im Leben geflogen sind und zuerst dachten, sie wären gar nicht angesprochen, um dann nach und nach zu entdecken, welchen positiven Einfluss sie auf andere nehmen können.
Was sind Eure nächsten Schritte?
Wir suchen aktuell neue Mitstreiter*innen, um die Kampagne schneller voranzubringen und zum Beispiel in verschiedenen Städten Info-Stände in der Fußgängerzone aufzubauen oder die Kampagne mit den eigenen Followern zu teilen. Außerdem möchten wir uns besser mit der Fridays-For-Future-Bewegung vernetzen. Wir sind außerdem dabei, uns der größeren Stay-Grounded-Bewegung anzuschließen, die über mehrere Länder verschiedene Gruppen mit ähnlichen Zielen unter ein Dach bringt, darunter lokale Flughafen- und Landebahnproteste, die Flight-Free-Kampagnen, Klimastreikende, Graswurzel- und Gemeinschaftsprojekte.
Was macht ihr, wenn ihr die 100.000 Unterschriften zusammen habt?
Wir sammeln in jedem Fall bis zum Ende des Jahres und hoffen, auf mehr Unterschriften als die anderen Länder zu kommen. Deutschland hat schließlich einen größeren Anteil der europäischen Bevölkerung und auch am internationalen Flugverkehr. Die Aktion für das Finale haben wir uns noch offengehalten, aber haben an eine öffentlichkeitswirksame Übergabe gedacht.
Vielen Dank für das Interview, lieber Dimitri!
Wenn Du Lust hast, Dich zu beteiligen, kannst Du unter http://flightfree.de/ die Petition unterschreiben und Dich mit dem Flight Free 2020-Flyer fotografieren.
Ihr wollt noch mehr? Dann mal hier entlang…
Warum ich nicht mehr fliege, könnt ihr hier nachlesen: https://greenerlicious.de/ichbleibamboden/
Tipps fürs nachhaltige Reisen findet ihr hier: https://greenerlicious.de/ich-bin-dann-mal-weg-tipps-fuer-nachhaltiges-reisen/
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